Wer relauncht verliert!

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Das ruhmreichste aller Projekte: der Relaunch. Die erfahrenen Hasen schmücken sich damit, schon mehrere gemeistert zu haben, die jungen hoffen, endlich ihre Ideen einbringen zu können. Alle laufen wild durcheinander, weil sie ihren Anteil daran haben oder ihren Bereich schützen wollen - aber die Wahrheit ist, wer alle drei Jahre in einer ungeheuren Anstrengung seine Technik und sein Design relaunchen muss, macht es von Anfang an falsch. Der Relaunch ist eine veraltete Technik, genauso wie Dampfkraft, Schröpfgläser oder Taschenuhren. Und er ist schon in sich selbst dazu verdammt zu scheitern. Warum?

Warum Relaunch scheitert

Normalerweise wird es ja so gemacht: Man nimmt ein Team von 3 bis 8 Leuten und verlangt von ihm, dass es ein gewachsenes, komplexes Produkt (das im Normalbetrieb von 10 Mal so vielen Leuten betreut wird) in einem Vier-Monats-Projekt in all seinen Aspekten und Details (und ohne einen Einbruch der Performance) verbessert. Alle Stakeholder im Unternehmen schreiben ihre Anforderungen zusammen, zwei Monate lang wird wild geträumt und alle dürfen mitwünschen. Bis das Team es schafft, den Anforderungsberg zu sortieren, ist die halbe Projektlaufzeit vorbei, Innovation wird eingedampft, Erwartungen aber beibehalten und wenn man Glück hat (und ein sehr gutes Team), kommt man am Ende ohne ein völlig verschlimmbessertes Produkt wieder raus.

Bei sehr streng abgesteckten Rahmenbedingungen (z.B. wenn, bei unveränderter Funktion, nur das Design gerelauncht werden soll) mag es besser laufen. Aber von 8 Leuten zu verlangen, in Monaten die Innovation nachzuholen, die ein Unternehmen über Jahre versäumt hat, ist unfair und leider oft auch unmöglich.

Innovation ist ein extrem schmerzhafter und langwieriger Prozess. Man lernt aus Fehlern, aus Feedback, Tests oder den Zahlen im Markt, dass das eigene Urteilsvermögen (oder der eigene Einfallsreichtum) zu kurz gegriffen hat und es eine bessere Lösung gibt. Wenn man es geschafft hat, sein Ego wieder zu beruhigen, muss man sich noch an die neu gefundene Science-Fiction-Lösung gewöhnen, mit der man jetzt arbeiten soll. Im schlimmsten Fall muss man sich außerdem noch in eine ganz neue Technologie einarbeiten. Dazu braucht man wieder viel Zeit, Tests und am besten harte Zahlen, die beweisen, dass es den Trennungsschmerz auch wirklich wert ist. In einem Relaunch gibt es keine Zahlen, keine Beweise, keine Tests und am Ende gewinnt die Vorsicht der Stakeholder und verhindert den größten Teil der möglichen Innovation.

Festes Innovations-Team statt Relaunch

Natürlich gibt es viele Methoden, um Innovation im Unternehmen zu fördern. Mir fallen da zum Beispiel sofort Kaizen oder der Stage-Gate-Prozess ein. Aber warum macht man nicht einfach das Offensichtlichste? Warum macht man das Relaunch-Team nicht zu einer festen Organisationseinheit im Unternehmen, benennt es um in "Innovations-Team", ermöglicht ihm regelmäßige und direkte Abstimmungen mit den tatsächlichen Produktentscheidern und treibt Innovation konstant und ganzjährig voran? Das Innovations-Team geht in alle Bereiche, lernt die speziellen Anforderungen der Stakeholder kennen, entwickelt Verbesserungen, testet und präsentiert sie mit Fakten und Zahlen. Die Vorsicht der Stakeholder hätte dann einen echten Gegner und die schmerzhafte Auseinandersetzung mit echter Innovation könnte endlich und wirklich beginnen.

Ich bin überzeugt davon, dass "fest installierte" Innovation billiger ist als jeder Relaunch. Wenn man alle Kosten der Gewaltanstrengung Relaunch (Abstimmungen, Aufstellung der Anforderungen, Kampf ums Backlog, Stakeholder in ewigen Meetings, Überstunden, usw.) mal ehrlich zusammenzählt, dann kann man davon (leicht?) ein festes Team von 4 Leuten das ganze Jahr (oder vielleicht sogar 3 Jahre - was ja ein klassisches Relaunch-Intervall sein soll) bezahlen. Wenn Ihr solche Zahlen habt, dann rechnet es gerne mal nach.

Ein Relaunch erzeugt (immer?) so viel Druck, dass das Team parallel arbeiten muss und nachgelagerte Disziplinen (wie Frontend-Entwicklung nach dem Design) keine Zeit mehr haben, mitzudenken und ihre eigenen Ansprüche einzubringen. Ein gemischtes Innovations-Team kann sich Probleme fokussiert und konzentriert aus dem Blickwinkel aller Disziplinen betrachten. Es können Lösungen gefunden werden, die Design, UX, Frontend, Backend, SEO und Autoren ganzheitlicher umfassen. Während man im Relaunch oft an Lösungen hängen bleibt, die im Design gut aussehen, aber in der laufenden Pflege Mehraufwände verursachen, liefert ein gemischtes Team wirklich ganzheitliche Lösungen, die (im Idealfall) Aufwände in der täglichen Arbeit aller Disziplinen reduzieren.

Ein Innovations-Team könnte Optimierungsbedarf außerdem selbstständig erkennen und adressieren, was all den Kollegen, die im Relaunch wochenlang Anforderungen schreiben müssen, die Zeit zurückgibt, um Artikel zu schreiben, Kunden zu werben oder Abschlüsse zu generieren.

Kontinuierliche Optimierung statt Relaunch

Lasst uns den Relaunch so fest ins Unternehmen einbauen, dass er all seinen Schrecken verliert. Wenn das gelingt, können wir uns in romantischer Verklärung an ihn erinnern, wie man sich eben im Rückblick oft an harte Zeiten oder überstandene Krankheiten erinnert. Er wird es gut haben bei Dampflock, Schröpfgläsern und Taschenuhren und wir werden ihn nicht vermissen, wenn unsere Unternehmen in sanfter, schmerzfreier und lautloser Innovation vorangleiten.